Der salutogenetische (gesund machende) Aspekt der Kunst ist bereits eingangs des ersten Teils dieser kleinen Trilogie erwähnt worden.

Es ist interessant, dass sich die von A. Antonovsky entwickelten Kriterien der Salutogenese

1. Verstehbarkeit (comprehensibility)
2. Gefühl von Bedeutsamkeit oder Sinnhaftigkeit (meaningfulness)
3. Handhabbarkeit (manageability)
auch auf die Kunst übertragen und durch die Zufügung der aktiven Teilhabe vertiefen lassen.

Quelle Grafik: Wikipedia

So geschieht die Auseinandersetzung/Begegnung mit einem Kunstwerk nicht mehr nur im Bereich des intellektuellen Verstehens und dem gedanklichen oder empfindungsmäßigen Erschließen der Sinnhaftigkeit, sondern wird auch (im wahrsten Sinne des Wortes) durch das körperliche Eingreifen mit Hand und Fuß vollzogen (Aktivierung).

Insgesamt waren es 3 Sockel (1975), mittels welcher ich zur Eröffnung der Ausstellung ‚Franz Erhard Walther‘ am 17. 05 1980 im Forum Kunst Rottweil den Raum miterfahren und mitgestalten durfte.

Anderntags schloss sich im Außenbereich auf einer weiten Wiese das Abschreiten eines Halbkreises  (Durchmesser 12 Meter) mit Seitschritten an. Einmal mit dem Mittelpunkt im Rücken, ein zweites Mal mit Blick über den Mittelpunkt hinaus. Unterschiedlichkeit der Erfahrungen.

 

Fotos: Fritz Rapp

(Mittel)Punkt und (Um)Kreis

Oder, mit den Worten von FEW: „Gefordert ist nicht das Abgelegene oder gar Abstruse, sondern das Allgemeine, das Einfache, unsere Basis, das, was eigentlich sowieso zu uns gehört, gleichwohl zu etwas Besonderem und Außergewöhnlichen werden kann.“

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Anlässlich der aktuellen Ausstellung in der Synagoge hat Andreas Beitin im begleitenden Katalog eine kunstgeschichtliche Einordnung vorgenommen.
Vielen Dank dafür!
Beschreibt sie doch in relativ knappen Worten das, was mich zu dieser Kunst geführt, durch diese Kunst berührt und über die Jahre daran gehalten hat.

Handlung denken
(Text: Andreas Beitin)

Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts nähern sich Kunst und Leben zunehmend einander an: Objekte und lebensweltliche Materialien werden nicht mehr allein illusionistisch gemalt, sondern real in Kunstwerke integriert. Die Farbe, das altgediente Medium der Bildgestaltung, wird in der konkreten Malerei zum zentralen „Gegenstand“ von Bildern, und ab den 1950er und 1960er Jahren wird der Prozess der Kunstproduktion selbst zum konstitutiven Bestandteil von Kunstwerken. Mit der Kinetischen Kunst finden schließlich auch reale Bewegungen Eingang in die bildende Kunst. Parallel zu diesen künstlerischen Entwicklungen finden im 20. Jahrhundert in vielen, meist westlich orientierten Staaten trotz aller global politischen Krisen Demokratisierungsprozesse statt, deren wichtigstes Grundprinzip in der Mitbestimmung des Volkes besteht. In den gesellschaftspolitisch aufbrechenden und auf künstlerischem Gebiet zugleich höchst innovativen 1960er Jahren verfolgten einige Künstler mit dem Konzept der Partizipation auch in der Kunst die Idee der Teilhabe und damit im übertragenen Sinne eines umfassenden Demokratisierungsprozesses. War der Betrachter seit Jahrhunderten bis dahin fast ausschließlich auf die kontemplative Rezeption von Kunstwerken beschränkt, bieten die neuen Handlungsformate seither dem Betrachter die Möglichkeit, sich aktiv in den Produktions- und/oder Vollendungsprozess eines Kunstwerkes miteinzubringen und Kunstwerke (mit) zu gestalten. Voraussetzung hierfür ist, dass der Künstler sich konzeptuell auf die Initiation oder auf das Angebot eines zur Komplettierung hin offenen Werkes beschränkt und den Partizipierenden ermöglicht, das Erscheinungsbild des jeweiligen materiellen oder ephemeren Kunstwerkes zu verändern oder in seiner (vorab definierten) Form beziehungsweise (performativen) Konzeption umzusetzen. Wesentliche Grundbedingung ist hierfür im Sinne von Umberto Eco die Idee eines „offene(n) Kunstwerk(s)“, das den Rezipienten am Prozess seiner Bedeutungskonstitution durch Partizipation teilhaben lässt. Durch die in diesem Kontext stattfindende Ausweitung des Autorenbegriffs kann eine teilweise Verlagerung des Schaffensprozesses durch den Künstler hin zum kooperativ-partizipierenden Betrachter oder – soziologisch formuliert – vom Individuum zu Gesellschaft festgestellt werden. Die Freisetzung von kreativen Potenzialen und die Identifikation mit dem Geschaffenen, mithin der künstlerischen Idee, sind neben den gesellschaftspolitischen Implikationen zwei der wichtigsten Merkmale partizipativer Strategien im Kunstbereich.

Franz Erhard Walther ist nicht nur einer der einflussreichsten Künstler der letzten Jahrzehnte, sondern auch ein Kunstschaffender, der es verstanden hat, in seinem Werk die wichtigsten künstlerischen Entwicklungen des 20. Jahrhundert auf innovative Weise zu synthetisieren: das sind der Material-Diskurs (also die Einbeziehung von bis dahin in der Kunst ungebräuchlichen Materialien und Produktionsverfahren; hier die Verwendung von Stoffen, die zu – teils benutzbaren – Objekten vernäht werden), minimalistische Formensprachen (durch die sich vielfach auf Primärformen wie Quadrat, Rechteck, Dreieck kon-zentrierenden Formate), Konzeptualität und schließlich die Partizipation oder auch Teilhabe an der Vollendung eines Werkes. Franz Erhard Walther hat durch die Ausweitung des Materialbegriffes in der Kunst, der Neuformulierung dessen, was eine Skulptur sein kann, und vor allem durch seine partizipativen Kunstwerke Maßstäbe gesetzt. …

Erschienen in der Publikation ‚Franz Erhard Walther: Zwei Körperformen GELB‘ anlässlich der Ausstellung von FEW in der Synagoge Stommeln 2018


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