In Berlin führte mich die Suche nach einer Plastik von Richard Serra zu einer unvorhergesehenen Begegnung: Der Standort Tiergartenstr. 4 war im ‚Dritten Reich‘ der historische Ort, an dem unter dem Kürzel T4 der Massenmord an Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten im Deutschen Reich initiiert, koordiniert und veranlasst wurde.

Serras Arbeit ‚Berlin Junction‘ besteht aus 2 fast senkrecht, frei stehenden, rostigen geschwungenen Stahlplatten; etwa 3 cm dick, 3,50 m hoch und 25 Meter lang. Zwischen den Platten entsteht dadurch ein schmaler Gang, dessen Enden jeweils nicht sichtbar sind.

Nach der äußeren Betrachtung erlebte ich beim Durchgang einen enger werdenden dunklen Tunnel, der mir Beklemmung vermittelte, von der mich erst der Anblick der beleuchteten Philharmonie von Scharoun erlöste.

Nun erschloss sich mir Kunstbeflissenem vor Ort erst nach und nach die viel weitere Bedeutung dieses Platzes. Serras Plastik von 1987 war durch den Hinweis einer Bodenplatte ein früher (oder besser: später) Hinweis auf die historische Grausamkeit dieses Ortes. Erst am 2. September 2014 fand noch viel später die Eröffnung des neuen Gedenk- und Informationsortes in seiner erweiterten Gestaltung statt:

Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde

In direkter Nähe befindet sich eine transparente blaue 24 Meter lange Glaswand, die auf einer zur Mitte leicht geneigten dunklen Fläche aus anthrazitgefärbtem Betonbelag verläuft. Eine begleitende Freiluftausstellung informiert über die Geschichte der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde mit ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein. Beim Lesen dieser Dokumentation kamen mir die Tränen; einerseits aus Empathie, vor allem aber aus WUT darüber, was damals unter dem Begriff des „lebensunwerten Lebens“ für Verbrechen begangen worden sind. An Menschen, denen ich Jahrzehnte meines Berufslebens mit Hingabe und Liebe gewidmet habe! Unfassbar – die damaligen Begründungen studierter Leute!
Lange verweilte ich vor der Infotafel; mittlerweile war es dunkel geworden.
Die starke, biografisch-berufliche Beziehung dieses Platzes, an den mich der Zufall (?) geführt hatte wurde mir deutlich.
Sono stato un insegnante per i bambini handicappati.

Abschließend zwei Zitate hierzu
„Möge der Erinnerungsort, den wir hier eröffnen,
ein Ort des G e d e n k e n s aber auch des N a c h d e n k e n s sein.
Möge dieser Ort unseren Blick schärfen auf eine Gesellschaft, die Menschen immer noch allzu oft nach Kosten und Nutzen, nach ihrem vermeintlichen Wert oder Unwert bemisst.
Möge dieser Ort die Herzen der Menschen berühren und etwas in ihren Köpfen bewegen und so einen Beitrag leisten zur Gestaltung einer solidarischen und inklusiven Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt und Individualität und Vielfalt der Menschen wertschätzt.“ (Sigrid Falkenstein anlässlich der Eröffnung)

„Ich bin den Initiatoren und Künstlern für die Realisierung dieses Denkmals als einer Aufforderung zum Denken und Gedenken dankbar und wünsche dem Ort, den Platz in unserem kollektiven Gedächtnis, der ihm in historischer und gegenwärtiger Besinnung gebührt.“ Dr. Hartmut Traub, Neffe eines NS-„Euthanasie“-Opfers
Quelle

Ein Besuch, der längst überfällig und notwendig war!


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